Mitte des Jahres habe ich die Möglichkeit bekommen, zwei ungleiche Geschwister, wieder einmal aus der Specialized-Famile, auf Herz und Nieren zu testen. Der eine kommt mit viel Federweg und einer aggressiven Geometrie und der andere ist eigentlich genau das Gleiche nur mit zusätzlich dezenter Power unter der Haube. Konkret geht es um das Specialized Enduro S-Works und das Specialized Kenevo SL S-Works, mit denen ich ein paar Wochen verbringen durfte. Hier möchte ich die zwei eindrucksvollsten Tage mit den zwei Boliden der Extraklasse beschreiben, die für mich den idealen Einsatz der zwei Bikes gegenüberstellen.
Inhaltsverzeichnis
Aber erstmal zurück zum Anfang: S-Works
Die Spedition klingelt pünktlich zwei Tage vor Abfahrt in den Urlaub und ich nehme freudig zwei Specialized Kartons entgegen.
Ich kann kaum an mich halten als ich diese Bikes das erste Mal betrachte. Auf der einen Seite meines Wohnzimmers das Specialized Enduro S-Works und auf der anderen Seite das Specialized Kenevo SL S-Works. Beim Preis des 11.999 € teuren Enduro S-Works (2021) bleibt mir schon die Spucke weg. Als mir aber bewusst wird, dass dies im Vergleich zum 14.500 € teuren Kenevo SL noch fast günstig ist, muss ich mich erstmal hinsetzen. Bei beiden Bikes handelt es sich ja aber auch um die Topausstattungsvarianten, mit allem was sich das Mountainbikerherz so wünscht. Carbon, wo man nur hinsieht. In der S-Works Variante ist neben den Roval Lenker und den Roval Laufrädern auch der Umlenkhebel am Rahmen aus Carbon gefertigt. So spart Specialized gegenüber den sonstigen Modellen nochmal ein paar Gramm am Rahmen. Elektronische Schaltung (XX1 AXS) und Sattelstütze (Reverb AXS) aus dem Hause SRAM und die gold-schimmernden Federelemente von FOX (FOX 38 Factory und FOX Float X2 Factory) runden das exklusive Gesamtbild der Bikes ab. Gimmicks, wie die obligatorische SWAT-Box am Enduro S-Works oder das superpraktische SWAT-Tool im Steuerrohr beider Bikes fallen bei dem ganzen Bling-Bling kaum noch auf. Mich beschleicht der Gedanke: „Eigentlich zu schade den Bikes jetzt ein paar Wochen lang die Sporen zu geben.“
Das Basis Set-up für das Kenevo SL S-Works, als auch für das Enduro S-Works ist durch den Suspension Calculator schnell gefunden und passt von vornherein ganz gut. Ein oder zwei Klicks mehr Low-Speed Druckstufe, um dem Durchsacken des Hinterbaus vorzubeugen und es kann losgehen.
Also Räder und Familie in den Bus und ab zu unserem ersten Stopp nach Nauders am Reschenpass.
Das Enduro S-Works in seinem Habitat
Am ersten Morgen springe ich mit dem Elan eines Kindes aus unserem, an der Schönebenbahn geparkten Bus und entscheide mich, dank Auffahrt mit den Gondeln der 3-Länder-Enduro Region, für das Enduro S-Works. Also rolle ich mit dem Enduro S-Works die leicht abschüssige Straße Richtung Treffpunkt an der Bergkastelbahn in Nauders hinunter. Der erste Eindruck lässt erahnen, dass ich mit dem Enduro trotz des überschaubaren Gewichts keine Bergwertung gewinnen werde. Ich sitze recht weit hinten über dem Hinterrad (Sitzwinkel 76° und lang ausgezogener Sattelstütze bei einer Schrittlänge von 88 cm), aber gemütlich und kann mir vorstellen, behutsam auch etwas längere Anstiege aus eigener Kraft zu erklimmen.
Angekommen am Lift, erweckt das Specialized Enduro S-Works natürlich Aufsehen. Jemand der lieber inkognito unterwegs ist, sollte über ein unauffälligeres Rad nachdenken. Ich genieße an diesem lauen Sommermorgen die Aufmerksamkeit und freue mich über die ein oder andere Fachdiskussion zur Sinnhaftigkeit von elektronischen Schaltungskomponenten und über den Grundpreis auf gleicher Höhe eines gut erhaltenen Kleinwagens.
Aber genug des Redens. Oben angekommen, steigen wir standardmäßig zur Aufwärmrunde in den Bergkasteltrail ein. Ich lasse intuitiv die Finger von der SRAM Code RSC und freue mich über die Wendigkeit des S-4 Rahmens. Bei meiner Körpergröße von 1,85 cm bevorzuge ich normalerweise die geräumigeren und laufruhigeren S-5 / XL Rahmen, aber auch der etwas kürzere Hauptrahmen (Reach 487 mm) und die 442 mm lange Kettenstrebe machen mir auf dem Bergkasteltrail einfach Spaß. Durch die engen Anlieger zirkle ich mit ordentlich Druck. Besonders viel Freude bereitet mir das Enduro von Anfang an aber in der Luft. Wer den Bergkasteltrail kennt, weiß, dass es da das ein oder andere spaßige Gap gibt, welches aber eine etwas kniffligere Anfahrt hat. Souverän meistere ich die Anfahrt aus einer technischen Kurve und verlasse den Absprung unauffällig mit Pop aus dem Sag. Nach einer kompakten Flugphase lande ich sanft in den 170 mm Federweg, und zwar genau an dem Punkt, den ich anvisiert habe. Was für ein schöner Start in den Tag.
Jetzt sind die Arme warm und der Kopf dank Adrenalin voll da. Also machen wir uns für die zweite Abfahrt auf zum Bunkertrail. Seit letztem Jahr ist die Zufahrt von der Stieralm zum Einstieg des Bunkertrails neugestaltet. Statt des ersten Anstiegs erwartet uns ein flacher aber erstaunlich schneller Trail Abschnitt, auf dem man die Geschwindigkeit durchs Pushen halten muss. Das Vorderrad des Enduro‘s lässt sich trotz des flachen Lenkwinkels (63,9° in der „Low“ Einstellung) super präzise an kleinsten Wurzeln oder Rasennaben einlocken. Der Hinterbau stellt sich dem Druck entgegen, ohne durch den Federweg zu rauschen, um mit noch mehr Geschwindigkeit aus den Kurven rauszuschießen. Ich schieße mit einem Grinsen aus dem Trailabschnitt und mache mich für den kurzen Anstieg zu den legendären Panzersperren bereit.
Die SRAM AXS Schaltung schaltet surrend mit elektronischer Präzision über mehrere Gänge schnell in einen leichteren Gang. Die SRAM Reverb AXS gibt nach einer sanften Betätigung des Triggers 170 mm Hub frei, blöd nur, dass ich den Sattel etwas tiefer ins Sattelrohr versenkt habe, um ein wenig mehr Beinfreiheit auf der Abfahrt zu haben. Runter und in der Luft super, jetzt bei der Auffahrt sitze ich ca. 2 cm zu niedrig. Irgendwie blöd und ich frage mich, ob Menschen mit längeren Beinen auf Dauer mit den maximal zur Verfügung stehenden 170 mm der AXS Reverb zufrieden sein werden, oder doch wieder eine Sattelstütze mit Zug aber dafür mit mehr Hub verbauen.
Zum Glück ist der Anstieg nicht besonders lang. Oben angekommen schießen wir das obligatorische Selfie an den Panzersperren. Dann lauschen wir etwas weiter unten unserem Chefredakteur, wie er über die Art und Weise der Beschädigung der Bunkertüren philosophiert und ich merke wie meine Finger anfangen zu kribbeln. Ich freue mich auf die schnelle und anspruchsvolle Abfahrt über den Bunkertrail. Also klatschen wir, ohne auf das Ende der philosophischen Abhandlung zu warten, ab und ich bringe das Enduro S-Works im Wiegetritt auf Grundgeschwindigkeit. Schnell baue ich Geschwindigkeit auf. Auch hier zeigt sich, wie stabil und antriebsneutral der Carbon Hinterbau bleibt. Aber schon in der ersten felsigen Sektion macht das Fahrwerk auf und ich walze mit voller Kontrolle selbst über die dicksten Brocken. Zwei Kurven später kommt der steilste Teil des Trails und ich bin gespannt, wie das Enduro S-Works mit der FOX 38 Factory den steilen mit Felsstufen versetzten Abschnitt meistert. Ich bringe das Enduro S-Works, dank der griffigen Reifen, präzise in die Ideallinie. Der erste Absatz kommt, das Vorderrad geht über die Kante und die Federgabel nimmt genau so viel Kraft auf wie notwendig, um mit voller Geschwindigkeit weiter zu schießen. Der flache Lenkwinkel, die 170 mm Hub und eine gut eingestellte Low-Speed Druckstufe lassen sowas wie Überschlagsgefühle in ungeahnte Ferne rücken.
Aber wer schnell fährt, muss zwangsweise auch schnell runterbremsen. Vor der nächsten Kurve werfe ich also den Anker und bin erstaunt, wieviel Unterschied die große 220 mm Bremsscheibe der SRAM Code RSC an der Front ausmacht. SRAM-typisch braucht man immer noch ein wenig mehr Kraft in den Fingern bis die Bremse ihre volle Kraft entfaltet, aber sie ist wunderbar zu dosieren und hält die Bremsleistung auch über längere Abfahrten. (Ich glaube ich habe noch in der nächsten Liftfahrt für mein eigenes Bike eine 220 mm Bremsscheibe bestellt.)
Der Rest des Trails bestätigt meinen ersten Eindruck. In schnellen graden Sektionen besticht das Bike durch ein stimmiges Fahrwerk und in engen Kurven hilft der kürzere Hinterbau und der überschaubare Radstand von 1274 mm des S-4 Rahmens. So bin ich guter Dinge für den Rest des Tages, als wir am beschaulichen Reschen See in Richtung Schönebenbahn rollen.
Nach einer kurzen Rast am Bus geht es dann in die Bergbahn Richtung Schönebentrail. Wir lassen den Flowtrail links liegen und ich freue mich auf Wurzeln, Stufen und Highspeed auf relativ Natur belassenen Trails. Denn genau hier gehört das Specialized Enduro S-Works hin. Den ersten Abschnitt nach dem Traileinstieg nehme ich mit Gelassenheit. Die Butcher Reifen mit GRID TRAIL Karkasse und GRIPTON Gummimischung beißen sich an den ersten Wurzeln fest und ich meistere trotz etwas Nässe die erste Off-Camber Kurve. Die darauffolgenden zwei Kurven sind eng und es ist normalerweise eine Herausforderung hier Geschwindigkeit zu halten. Das Specialized Enduro S-Works lässt sich aber trotz der massigen Dimensionen an Federweg und stämmigen 38 mm Standrohren spielerisch um die Kurven zirkeln. Ich treffe sicher die Highline zum Trailausstieg und so komme ich mit ordentlich Geschwindigkeit über die Straße in die nächste Sektion. Wurzeln, kleine Sprünge; solange das Enduro S-Works sich in steilem Gelände bewegt, beleibt die Front für mehr Sicherheit schön hoch und der Druck auf dem Vorderrad. In flacheren Trailabschnitten muss ich aber doch aufpassen, dass ich nicht den Druck auf dem Vorderrad verliere.
Im unteren Abschnitt des Schönebentrail‘s geht es dann um Geschwindigkeit und Laufruhe. Ich bin voller Elan und Adrenalin, also lasse ich, wo möglich, die Bremse offen. Das Enduro S-Works liefert. In den schnellen Geraden und offenen Kurven saugt sich das Fahrwerk mit dem FOX Float X2 Dämpfer quasi am Boden fest und je mehr ich das Fahrwerk ungezügelt arbeiten lasse, desto besser funktioniert es. Hier machen sich auch die Roval Traverse SL Carbon Laufräder bemerkbar. Die Laufräder sind steif und das Rad reagiert absolut vorhersehbar auch bei hohen Geschwindigkeiten auf kleinste Lenkimpulse und trotzdem bekomme ich auch bei längeren Abfahrten keine Probleme mit der Griffkraft. Ich denke, dass Specialized bei den Laufrädern ein hervorragender Kompromiss aus Steifigkeit und Dämpfung gelungen ist.
Das Specialized Kenevo SL S-Works – ein Hindernis weniger.
Fast Forward… ein kleiner Stopp in Finale Ligure, eine Woche im Caroux-Gebirge (Tipp: Ein Shuttle Tag mit velo-caroux.fr) und 4 Tage Morzine. Ein verregneter, kalter Samstag zurück in Heidelberg. Eigentlich habe ich keine große Lust mich ausschließlich durch eigene Kraft durch den Regen zu quälen. Zum Glück hat Specialized ja nicht nur das Enduro S-Works, sondern auch dessen Bruder auf Steroiden, das Kenevo SL S-Works, für einen Test bereitgestellt. Und Freunde: wenn eins sicher ist, dann dass ich mit dem Enduro ohne elektrische Unterstützung schön zuhause auf der Couch geblieben wäre.
Wie bereits erwähnt, schenken sich die zwei Bikes der Ober-, Ober-, Oberklasse, was die Ausstattung angeht nichts und auch die Geometrie ist absolut vergleichbar. Auch beim Kenevo SL: FOX Factory im schicken Kashima Kleid, Carbonlaufräder, SRAM XX1 AXS Schaltung und Reverb AXS Sattelstütze. Was sonst hätte man von der 14.500 € teuren S-Works Ausstattungsvariante erwartet? Das Kenevo SL in Größe S-4 hat durch einen etwas flacheren Lenkwinkel und eine etwas längere Kettenstrebe einen lediglich 13 mm längeren Radstand.
Eine nicht unerhebliche Kleinigkeit unterscheidet das Kenevo SL vom Enduro: Der kleine aber feine, selbst entwickelte Elektromotor mit 35 Nm und der fest im Unterrohr verbaute Akku mit 340 kWh. Somit bringt das Kenevo SL, für ein E-Bike, federleichte 18,7 kg auf die Waage. Damit ist es nur ca. 4 kg schwerer als das Enduro S-Works und grade mal ca. 2,5 kg schwerer als mein Raaw Madonna. Darüber hinaus ist der Elektromotor im Kenevo SL so dezent, dass ich genau hinschauen musste, um den Unterschied der zwei Fahrräder auszumachen. Eine ganz neue Klasse Fahrrad.
Gut, dass ich allein los radle, denn so richtig verbreitet ist die Gattung „leichtes E-Ebike mit weniger Power“ bei uns noch nicht. In einer Gruppe mit nicht motorisierten Bikern würde ich, neben dem schlechten Gewissen, zumindest bergauf weit vorausfahren. Mit anderen E-Bikern hingegen würde ich eher zurückhängen, da das Kenevo SL quasi die Hälfte an Power im Vergleich zu herkömmlichen E-Bikes mitbringt.
Egal, ich trete im Trail-Modus mit 65% der maximalen Motorleistung Richtung Königsstuhl und erfreue mich an der Unterstützung bis 25 km/h. Das MasterMind Display erinnert mich, neben gefahrenen Höhenmetern und Kilometern, mit einer orange eingefärbten Geschwindigkeitsanzeige daran, dass ein E-Bike ab 25 km/h keine Unterstützung mehr leistet. Selbst bei dem geringen Gesamtgewicht von 18,7 kg bin ich dankbar über diese visuelle Unterstützung, um die richtige Geschwindigkeit für die perfekte Unterstützung zu halten.
Am Berg angekommen, schalte ich in einen leichteren Gang, lasse aber den Trail-Modus aktiv und trete in moderater Geschwindigkeit auf den Königsstuhl. Im oberen Viertel des Anstiegs gibt es eine recht steile Abkürzung, die zwar 10 Minuten Umweg spart, ich mir aber trotzdem wegen der Steigung immer kneife. Nicht heute… ich schalte in den Turbo-Modus. Trotz Turbo brauche ich einen recht leichten Gang, um den 35 Nm Motor nicht zu überfordern, aber ich fahre die steile Rampe in einem relativ niedrigen Pulsniveau bis zum Gipfel. Am Gipfel angekommen, bin ich leicht geschwitzt und „ready to go“ für meine erste Abfahrt mit dem Kenevo SL S-Works.
Etwas zurückhaltend biege ich in den neuen Tannenzäpfle Trail des Heideberg HD-Freeride Vereins ein. Hier erwarten mich erstmal nicht so viel Geröll aber dafür rhythmische Anlieger. Genau das richtige, um ein erstes Gefühl für das höhere Gewicht des Kenevo SL zu bekommen. Die ersten Meter lassen viel Spaß erwarten. Das Kenevo SL liegt satt auf dem Trail. Die Geometrie ist sportlich abfahrtsorientiert, wie der direkte Vergleich zum Enduro S-Works erwarten lässt und ich erahne, dass es trotz Regen ein schöner Tag werden wird. Bei den ersten Anliegern bin ich mit den schnellen Richtungswechseln in Kombination mit dem Mehrgewicht noch etwas überfordert. Doch nach einer Eingewöhnungsphase lasse ich das Kenevo SL locker unter mir durcharbeiten und pusche das Rad verspielt von Anlieger zu Anlieger. So gar nicht das, was ich von einem E-Bike erwartet habe.
OK, jetzt sind auch die Arme und der Kopf dabei und ich strample mit leichter Unterstützung wieder Richtung Gipfel. Diesmal suche ich mir für die Abfahrt etwas Ruppigeres, um das Fahrwerk auf Herz und Nieren zu testen. Ich brauche keine große Verschnaufpause und starte direkt in den nächsten Trail. Das Kenevo SL beschleunigt mich dank Motorisierung direkt auf Geschwindigkeit und ich muss aufpassen, mit nicht zu viel Übermut in die nächste Sektion zu fahren. Hier erwarten mich grobe Steine, Absätze und Wurzeln zwischen schnellen Kurven. Der FOX Float X2 am Heck des Kenevo SL funktionieren vielleicht noch ein wenig besser als am Enduro S-Works und da an der Front die gleiche Gabel verbaut ist, bleibt auch hier die sagenhafte Performance nicht aus. Der minimal längere Radstand und das Zusatzgewicht des Elektroantriebs sorgen für mehr Laufruhe und ich lasse es richtig stehen. Besonders überrascht mich das feinfühlige Ansprechverhalten des Motors im Kenevo SL. Ich habe in keiner Situation das Gefühl, dass mich der Elektromotor in unpassenden Situationen anschiebt, sondern genau in den Situationen unterstützt, in denen ich ein paar Watt extra zu schätzen weiß.
Nach der dritten Abfahrt komme ich mit einem anderen (nicht motorisierten) Mountainbiker ins Gespräch und wir starten gemeinsam die nächste Auffahrt. Wir fahren auf einen anderen Berg, an dem wir eine der schönsten Jumplines in der Umgebung vorfinden. Wir quatschen kurz und er fragt mich skeptisch, ob ich denn auch alle Jumps mit dem E-Bike mitnehmen werde. Meine Antwort: „Natürlich, guck dir den Hobel doch mal an!“ Wir starten also im Train in die Jumpline und mir kommt der Gedanke, dass sich so annäherungsweise das Springen mit einem Motorrad anfühlen muss. Das Gewicht des Rades sorgt für Stabilität in der Luft. Jedoch ist das Kenevo SL nicht so schwer, dass es sich gar nicht mehr querlegen lassen würde. Natürlich habe ich kein 10 kg Dirtjump erwartet und erfreue mich u.a. über stabile Flugphasen und sänftenartige Landungen in 170 mm Federweg.
Die Jumpline macht uns so viel Spaß, dass wir sie noch ein paar Mal fahren. Danach mache ich mich auf den Weg nach Hause. Normalerweise bin ich nach einem Tag am Königsstuhl gut bedient und schlage den direkten Weg nach Hause ein. Auch hier kommt es heute anders, denn ich habe dank den zusätzlichen 160 Wattstunden aus dem Range Extender im Flaschenhalter noch 40% Akku. Da meine Beine aber schon erstaunlich platt sind und ich mittlerweile bis auf die Haut nass bin, gönne ich mir für die nächsten 400 hm den Turbomodus und fliege für eine letzte Abfahrt die Forststraße auf den Weißen Stein hinauf. Mit einer Geschwindigkeit von „Ist mir fast peinlich“ rausche ich an ein paar Gravel-Bikern vorbei und bin wieder einmal erstaunt, was das Kenevo SL einem alles ermöglicht. Eben noch wendiges, aber potentes Downhill-Bike, jetzt Cross Country-Pfeile mit Spritze im Arm. Am Ende des Tages habe ich 1450 Höhenmeter auf der Uhr und noch ca. 10% Akku. Ich bin beeindruckt.
Fazit
Zwei Tage und zwei Bikes, die von der Ausstattung nur bei der Wahl der Sattelstütze Wünsche offenlassen. Mir hat der Hub der 170 mm langen SRAM Reverb AXS nicht ausgereicht und ich musste die Sattelstütze für mehr Beinfreiheit immer etwas weiter im Sattelrohr versenken. Meinem Redaktionskollegen, der von der Körpergröße zwar genau auf einen S-4 Rahmen passt, konnte die Sattelstütze jedoch auf Grund der langen Einbaulänge, sowohl im Enduro S-Works als auch im Kenevo S-Works, nicht weit genug im Rahmen versenken. Irgendwie ärgerlich bei einem Bike für weit über 10.000 €. Hier geht das S-Sizing Konzept von Specialized nicht ganz auf.
Davon abgesehen hat mir das Specialized Enduro S-Works mehr als einen traumhaften Tag mit langen, schnellen und technischen Abfahrten beschert. Kompromisslos bin ich mit dem Enduro S-Works auf Sekunden-Jagd gegangen und habe mir auch den ein oder anderen gemütlichen Anstieg gegönnt. Sobald sich eine Tour mit wesentlich mehr Tretanteil ankündigt und ich nur die Wahl zwischen dem Enduro S-Works und dem Kenevo SL S-Works hätte, würde ich selbstverständlich zum Kenevo SL greifen. Das Specialized Kenevo SL setzt bei mir die, ohnehin schon niedrige, Hemmschwelle aufs Rad zu steigen deutlich weiter nach unten. Dies liegt neben der gefühlt doppelt so starken Beine zuletzt auch daran, dass ich nicht auf das verspielte und wendige Fahrverhalten eines Enduro’s verzichten zu muss. Dies gilt nicht nur bei schlechtem Wetter, sondern auch bei Zeitmangel. Denn mit elektronischer Unterstützung schaffe ich meine Hausrunde jetzt auch noch in der letzten Stunde Tageslicht.
Text: Moritz Wester
Fotos: Thorsten Illhardt
Specialized Kenevo SL S-Works: specialized.com
Specialized Enduro S-Works: specialized.com