Das neue Rocky Mountain Instinct macht für das Modelljahr 2021 aus zwei Bikes eins. Doch keine Bange, das neue Instinct füllt eine eventuell entstandene Lücke mit Bravur und lässt auf dem Trail kaum Wünsche offen. Welches Modell aus der Palette gemeint ist und warum das Rocky Mountain Instinct ein sehr vielseitiges Bike ist, welches verdammt nah am „Bike für alles“ ist, klärt unser Test.
Inhaltsverzeichnis
Rocky Mountain Instinct – Überblick
Das neue Instinct ist ein Trailbike. Wenn man sich die Eckdaten mit 150 mm Federweg an der Front und 140 mm am Heck anschaut, dann dürfte es sogar ein durchaus potentes Trailbike sein, mit dem man auch mal gröbere Linien fahren kann. Grundsätzlich kommt es auf 29 Zoll daher, in den kleinen Größen (XS-SM) in 27,5 Zoll.
Waren im Jahr 2020 noch Instinct und Thunderbold im Sortiment, die aber beide recht nah beieinander lagen, hat man sich für 2021 entschieden das Thunderbold aus der Produktpalette zu streichen. Um nach Möglichkeit jedem Fahrer gerecht zu werden, bietet Rocky Mountain das Instinct in sechs Rahmengrößen an. Aber dabei blieb es nicht, denn auch die Anti-Squat Werte und Dämpfertunes wurden für jede Rahmengröße optimiert. Der Federung bzw. der Hinterbau selbst wird zum Ende hin progressiv.
Ebenfalls nicht wundern sollte man sich, wenn man zwei unterschiedliche Größen nebeneinander stellt, diese aber unterschiedlich aussehen. So verfügen die Modelle in XS-SM über einen Knick im Oberrohr, während die größten Varianten alle auf ein grades Oberrohr setzen. Dieser Schritt war notwendig, um auch den kleineren Bikes die gewünschte Kinematik zu verpassen.
Beim Blick auf die Geometriewerte kann man dann auch schnell den Überblick verlieren, denn auch wenn hier nur drei der insgesamt neun Möglichkeiten des Ride 9 Systems von Rocky Mountain angegeben werden, ergibt sich daraus bereits eine Vielzahl an Werten.
Ride 9 ist, für alle die es noch nicht kennen, die Geometrieverstellung von Rocky Mountain. Sie sitzt direkt an der unteren Dämpferaufnahme und bietet in Kombination mit einem Flipchip insgesamt neun Optionen, um das Bike auf die eigenen Vorlieben anzupassen. Wem das noch nicht reicht, der kann zusätzlich die Kettenstrebe um 10 mm verstellen.
Dazu kommen innenverlegte Züge mit Führungen, ein erweiterter Rahmenschutz am Unterrohr und ein Kettenstrebenschutz der seinen Namen verdient hat. Ebenfalls im Hinterkopf behalten sollte man die obere Dämpferbefestigung. Diese ist Modular ausgelegt und es ist durchaus vorstellbar, dass sich daraus in Zukunft weitere Dämpferoptionen und mehr Federweg ergeben. Und zwar ohne den Rahmen zu wechseln. Denn rein theoretisch sollte hier auch die Aufnahme des großen Bruders Altitude passen. Dank moderatem Lenkwinkel stellt dann auch eine Gabel mit 160 mm kein Problem dar.
Viele Punkte auf der Liste, die also bereits in der Theorie dafür sprechen, das Rocky Mountain hier einiges richtig gemacht hat.
Und nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Rocky Mountain es in meinen Augen wieder geschafft hat einen wirklich schönen, zeitlosen Rahmen zu designen. Die Verarbeitung ist extrem hochwertig, der Lack ein Traum und vor allem sieht man die guten Stücke bei weitem nicht an jeder Ecke. Rein Optisch also allerfeinstes Material mit „haben wollen“ Faktor hoch Drölf!
Die Ausstattungen reichen vom Instinct Carbon 99, was nahezu das Maximum an Komponenten abdeckt, bis zum Instinct Carbon 50 Tour, was es so nur für den deutschen Markt gibt. Das 50er ist auch das einzige, welches es in einer Aluminium Variante gibt.
Rocky Mountain Instinct – Preise und Ausstattung
- Instinct C99 €11.500.-
- Instinct C90 € 9.900.-
- Instinct C70 € 6.500.- (Testversion)
- Instinct C50 Tour € 4.900.-
- Instinct A50 Tour € 3.700.-
- Instinct Rahmen € 3.700.-
Rocky Mountain Instinct – Auf dem Trail
Ich nehme Platz auf dem Instinct 70 in Medium. Bei einer Größe von 1.75 fühlt sich das Bike sehr gut an, obwohl ich rein optisch vermutet hatte, das es sich um Large handeln könnte. Dem aktuellen Trend folgend ist nämlich auch das Instinct gewachsen und kommt in Medium auf einen Reach von 462 mm in der neutralen Position. Nicht ganz dem aktuellen Trend entsprechend finde ich die Sitzposition. Diese ist nämlich nicht so stark im Bike integriert, sondern lässt mich gefühlt eher auf dem Rad sitzen. Auf den ersten Metern am Feldberg entpuppt sich diese Geomtrie und Sitzposition aber als erstaunlich treteffizient. Der Sitzwinkel lässt sich übrigens von 76.1 auf 77.2 Grad verstellen. Und ein knappes Grad ist viel beim Sitzwinkel, führt also auch zu einer spürbaren Veränderung. Hier hat man also direkten Einfluss darauf, wie gut man (theoretisch) den Berg hoch kommt.
Bergauf macht mit dem Instinct generell Spaß. Für die Menge an Federweg bin ich sogar fast etwas verwundert. Auf jeden Fall trete ich sehr motiviert und ohne unnötige Körner zu verheizen den Berg hinauf. Dabei stellen auch steile Rampen kein Problem dar, man muss seine Position auf dem Bike praktisch nicht ändern. Sicherlich jagt man mit dem Rocky Mountain Instinct bergauf keine Bestzeiten, kann aber ziemlich sicher gut mithalten, wenn man das Bedürfnis hat eine paar XC Fahrern die Gegend zu zeigen. Ich würde sogar so weit gehen, dass man mit dem Instinct durchaus eine größere Tagestour mit vielen Höhenmetern bewältigen kann, ohne dabei Abends Scheintod aus dem Sattel zu kippen und die nächsten Tage leidend auf der Couch zu liegen.
Völlig egal wie lange oder hart man es sich geben möchte, ist man irgendwann oben. Und von oben gibt es in der Regel eine vielversprechende Richtung. Runter!
Und Runter ist genau das, wofür das Instinct gemacht ist. Und zwar schnell runter, komme was wolle. Als Mitglied der schreibenden Zunft hat man den Vorteil regelmässig auf vielen Bikes Platz nehmen zu dürfen, was durchaus einer der Vorzüge dieser „Arbeit“ ist. Einer der Nachteile ist, dass man irgendwann zwangsläufig etwas verwöhnt oder sogar satt ist. Das Instinct ist hier eine willkommene Erfrischung, denn es hinterlässt einen bleibenden Eindruck.
Die Kombination aus raubkatzenhafter Agilität und der Souveränität eines Leopard 2 Panzers lassen mich direkt ab Start in einer ungewohnt hohen Geschwindigkeit über die bekannten Trails fliegen. Mir kommt direkt das branchentypische Buzzword „Ballern“ in den Kopf, was ich grundsätzliche auf der Beliebtheitsskala bei Lippenherpes einordne. Aber hier passt es einfach.
Das Instinct ist schnell, es ist verspielt, es zieht willig an jeder Kante ab und bleibt dabei sehr entspannt. Und diese Kombination schaffen so nicht viele Bikes dieser Kategorie. Dabei generiert das Fox Fahrwerk für die Menge an Federweg viel Popp und man sollte bekannte Sprünge unter Umständen neu anpeilen. Zumindest schoss mir das spontan durch den Kopf, als ich den ersten mir bekannten Table locker übersprungen habe.
Für die Agilität ist sicher auch die Länge der Kettenstreben verantwortlich, da diese bei allen Größen gleich lang bzw. kurz gewählt wurde. Je nach Betrachtungswinkel eben. Wem das zu verspielt ist, verlängert um die angesprochenen 10mm. Dank der Progression des Hinterbaus liefert das Instinct auf den gefahrenen Hometrails stets noch Reserven. Genug Potential also, um auch an alpine Ausflüge zu denken. Das überrascht aber auch nicht weiter, wenn man sich in Erinnerung ruft das Rocky Mountain seine Bikes in BC entwickelt und testet.
Überzogene Darstellung ? Zu Pauschal oder in dem einen oder anderen keimt der Gedanke auf das „mal wieder“ ein Test gekauft wurde ? Der Leser der sich angesprochen fühlt irrt, denn das neue Instinct ist am Ende des Tages genau dieses eine Rad, was man in der Garage, im Keller oder vielleicht sogar dem Wohnzimmer stehen haben möchte.
Und es ist nicht die Souveränität, die Geschwindigkeit oder das verspielte. Es ist die Mischung, die Vielseitigkeit, die das Rocky Mountain Instinct mit sich bringt. Und zwar nicht auf dem Papier, es vermittelt es direkt auf dem Trail.
Von sanften, flowigen Passagen, welche man auch gerne mal entspannter angeht, bis zu schnellen, verblockten Rinnen ist hier alles drin. Und dafür muss man nicht viel mehr machen als vernünftig auf dem Rad zu sitzen und den Lenker festzuhalten.
Heureka, die eierlegende Wollmilchsau!?
Nein, so etwas gibt es nicht. Wenn, dann hätte wohl jeder Mountainbiker nur noch ein einziges Bike für alles. Ich persönlich kenne solche Menschen nicht und noch viel weniger kenne ich Bikes, die so etwas könnten. Denn die ausgedehnte XC Tour macht man mit dem Instinct nicht. Man geht mit dem Instinct wohl auch eher weniger auf DH Strecken. Also auf richtige, zünftige, alpine DH Strecken. Für alles andere dazwischen kann man es aber sehr wohl nehmen und wird nicht enttäuscht.
Anders ausgedrückt ist das Instinct für alle die, die ein Bike für viele Arten der Anstiege suchen, die gerne auch technisch sein dürfen und sich diese vor allem selbst erarbeiten möchten. Und das möglichst effizient. Und es ist für die, die danach mit einem dicken Grinsen im Gesicht bergab dennoch viele Reserven haben möchten und gerne sich und das Limit des Bikes erkunden.
Gefahren wurde das Instinct überwiegend in neutral. Die Ride 9 Verstellung funktioniert schnell und reibungslos. So ist es denkbar, das man mit einer Stellung den Berg hoch fährt, oben wechselt und dann Bergab einer andere Geometrie fährt. Die Änderung dauert keine 5 Minuten und lässt sich mit jedem Multitool erledigen.
Fazit
Wer sich aktuell tatsächlich ernsthaft die Frage stellt, welches eine Bike er sich in die Garage stellen kann, darf oder möchte, der sollte sich schon fast zwingend mit dem neuen Instinct beschäftigen. Die aktuelle 2021er Version des Rocky Mountain Instinct ist ein Bike, welches sich keine Schwächen erlaubt und viele Biker glücklich machen wird. Sofern man denn bei Bedarf überhaupt eines bekommt. Das hier getestete Instinct Carbon 70 stellt für mich aktuell die besste Preis/Leistung Kombination der verfügbaren Versionen dar. Die Abstriche bei der Ausstattung sind nicht weiter dramatisch, die Rahmen bei allen Varianten gleich hochwertig. Selbst die obligatorische Trinkflasche kann im Rahmen untergebracht werden.
Das Rocky Mountain Instinct 70 markiert für mich mein bisheriges Highlight der Saison. Chapeau!