Vor gut drei Jahren hat der „neue“ Laufradstandard 27,5“ (650b) den langjährigen Standard 26“ abgelöst. Keine zwei Jahre später steht der nächste Standard in den Startlöchern: 27,5“ Plus oder kurz B+. Mal abgesehen davon, dass die Geschwindigkeit der Bikeindustrie neue Standards zu pushen übertrieben scheint, soll B+ alle Vorteile der Größen 27,5“, 29“ und FAT vereinen.
Scotts Antwort hierauf heißt Genius LT Plus, welches in drei verschiedenen Versionen von 4.199,00€ bis 7.999,00€ erhältlich ist. Für den Hauptrahmen hat sich Scott im eigenen Regal bedient und den Rahmen des 29“ Genius 900 verwendet. Um den bis zu 3.0“ breiten Reifen genügend Platz zu geben, ergänzte Scott den aus Carbon gefertigten Hauptrahmen um einen Hinterbau aus Aluminium.
In den letzten Wochen haben wir die Topversion Genius LT 700 Tuned Plus im Bergischen Land getestet. Wie sich das B+ Bike geschlagen hat, klärt unser Test.
Ausstattung
Frame | Genius LT 700 PLUS Carbon / IMP / HMX / |
BB92 / Alloy swingarm with 180PM | |
U-Mono Link / Tapered Headtube | |
IDS SL dropouts for 148x12mm Boost | |
3.0″ Tire clearance / BB height adj. | |
160mm rear travel | |
Travel | Front and Rear: 160mm |
Fork | FOX 36 Float Factory Air / Kashima |
FIT4 3-Modes with low speed adj. | |
Boost 15x110mm QR axle / tapered steerer | |
Lockout / reb. Adj. / 160mm travel | |
Rear Shock | FOX Nude / SCOTT custom w. travel / geo adj |
DPS 3 modes: Lockout – Traction Control – | |
Descend / Kashima / EVOL / reb. Adj. | |
Travel 160 – 100 – Lockout / 215x60mm | |
Remote System | SCOTT TwinLoc Downside Remote |
3 modes front and rear / integ. Grip clamp | |
Headset | Syncros FL1.5 / Tapered 1.5″ – 1 1/8″ |
semi integ. OD 50/61mm / ID 44/55mm | |
Rear Derailleur | SRAM X01 |
11 Speed | |
Front Derailleur | SCOTT Chainguide / DM |
Shifters | SRAM X01 Trigger right only |
multi adj. / with Carbon cap | |
Brakes | Shimano XTR M9020 Disc J-Kit / Pads w/Fin |
203/F and 180/Rmm SM-RT81 CL Rotor | |
Crankset | SRAM X01 GXP Boost PF / DM |
Carbon crankarm / QF 168 | |
30T | |
BB-Set | SRAM GXP PF integrated / shell 41×89.5mm |
Handlebar | Syncros AM1.0 Carbon 10mm Rise / 35mm |
9° / 760mm | |
Syncros Pro lock-on grips | |
H’stem | Syncros XM1.5 |
35mm HB diameter / 0° angle | |
Seatpost | Rock Shox Reverb Stealth |
inside hydraulic remote system / 31.6mm | |
S size 125mm / M and L 150mm | |
Seat | Syncros XM1.0 / Carbon rails |
Hub (Front) | Syncros TR1.5 PLUS CL / Boost 15x110mm |
made by DT Swiss | |
Hub (Rear) | Syncros TR1.0 PLUS CL / 148x12mm / RWS axle |
36T Rachet System /XD / made by DT Swiss | |
Chain | SRAM PCX1 |
Cassette | SRAM XO1 /XG1195 |
10-42 T | |
Spokes | DT Swiss Aero Comp |
Rims | Syncros TR1.5 PLUS |
28H / Tubless ready | |
Tires | Schwalbe |
Front: Nobby Nic EVO / 2.80×27.5 / TrailStar | |
Rear: Nobby Nic EVO / 2.80×27.5 / PaceStar | |
Tubeless Easy | |
Approx weights in KG | 12,7 |
Erstkontakt
Optisch gehört das Genius unserer Meinung nach zu den aktuell schönsten Bikes am Markt. Dazu tragen nicht nur der Digital Camouflage Look und die knallorangenen Schriftzüge, sondern auch leicht geschwungene Rohre des sonst gradlinigen Rahmendesigns bei. Fortgeführt wird das Farbkonzept vom Rahmen über die Felgen, den Sattel bis hin zu den Zugaußenhüllen.
Innenverlegte Brems- und Schaltzüge halten das Bike aufgeräumt, was dringend notwendig ist. Auch wenn durch den 1×11 Antrieb der Shifter für den Umwerfer wegfällt, kommen für Sattelstütze und blockierbares Fahrwerk drei weitere Leitungen hinzu. Positiv aufgefallen ist uns, dass Scott auch an 2×10 Fahrer denkt und neben einer Directmount Umwerferaufnahme eine entsprechende innenliegende Zugführung vorbereitet hat. Schraubbare Klemmungen an Ein- und Ausgängen unterbinden nervige Klappergeräusche und dichten gleichzeitig die Kanäle ab, was Dreck aus dem Inneren des Rahmens hält.
Ein weiterer Hingucker sind die „Traktorreifen“. 2,8“ auf einem Enduro ist schon ein Wort, wenngleich auch 3.0“ möglich sind. Aufgezogen sind die Pneus auf hauseigenen Syncros TR1.5 Plus Felgen mit 40 mm Maulweite. Dank der breiten Maulweite vergrößert sich der Profilkontakt des Reifens auf dem Untergrund, das Ergebnis: mehr Traktion. Für genügend Reifenfreiheit an der Front sorgt die 29“ Version der Fox 36 Float.
Am Genius LT 700 Tuned Plus kommt der neue Nabenstandard Boost zum Einsatz. Entwickelt von SRAM, zeichnet sich Boost durch eine vergrößerte Nabe vorne (+10 mm) und hinten (+6 mm) aus. Breitere Naben erlauben einen flacheren Speichenwinkel, wodurch die Laufradsteifigkeit erhöht aber auch die Kettenlinie um 3 mm nach außen gedrückt wird. Boost ist als Komplettsystem ausgelegt, d.h. bei der Verwendung von Boost 148 (steht für 148 mm Hinterbaubreite) muss ein Boost Kurbelsatz mit einem Directmount Kettenblatt und 3mm Offset verwendet werden. Hierdurch wird die Kettenlinie wieder begradigt und der Q-Faktor bleibt unverändert.
Der Blick in die Geometrie-Tabelle lässt die Vorfreude auf den Trail steigen. Bei einem eingestellten Lenkwinkel von 65,8° hat das Genius einen Radstand von 1.219 mm und einen Reach von 439 mm. Werte die für hohe Laufruhe und genügend Platz für den Fahrer sorgen, um seinen Sweetspot zwischen Vorder- und Hinterradachse zu finden. Die 448 mm langen Kettenstreben sollen das Bike wendig halten.
Das Cockpit stammt genau wie die Felgen aus dem eigenen Haus von Syncros. Der 760 mm breite Syncros AM1.0 Carbon Lenker mit 35 mm Klemmung wird in Kombination mit dem 0° XM1.5 Vorbau für ausreichende Kontrolle über das Bike sorgen. Das Cockpit wirkt auf den ersten Blick überladen. Auf der linken Seite befindet sich der von Scott neu entwickelte TwinLoc-Hebel, mit dem sich Federgabel und Dämpfer gleichzeitig verstellen lassen. Insgesamt stehen pro Federelement drei Modi zur Verfügung, wir nennen sie offen, Trail und Climb.
An der Fox 36 Float wird pro Modus die Druckstufe bis zu einem echten Lockout geschlossen. Gleiches gilt für den Fox NUDE DPS Dämpfer, allerdings wird bei ihm zusätzlich ab Modus Trail der Federweg um 20 % reduziert. Möglich macht dies das Zweikammer-System, mit einer großen und einer kleinen Kammer. Ist nur die kleine Luftkammer aktiv, reduziert sich der Federweg um 20 %, was für eine steilere und agilere Geometrie sorgt. Sobald beide Kammern aktiv sind (Modus offen), vergrößert sich das Luftvolumen und der Dämpfer gibt wieder den gesamten Federweg frei. Im Genius LT kommt zudem die Fox EVOL Air Sleeve Technologie mit vergrößerter Negativkammer zum Einsatz, wodurch die Kennlinie des Dämpfers mehr linear wird.
Auf dem Trail
Wir waren auf der ersten Ausfahrt sehr gespannt, ob trotz der 2,8″ breiten Reifen und dem niedrigen Luftdruck von 1,0 bzw. 1,2 bar der Rollwiderstand, wie vom Hersteller versprochen, kaum größer ist als bei konventionellen Reifen. Unsere anfängliche Skepsis wich Verwunderung, denn das Genius lässt sich wie ein Pfeil beschleunigen. Natürlich kommen hier noch weitere Punkte zum Tragen. Das Gesamtgewicht ist mit 12,7 kg sehr niedrig und der Carbon-Rahmen ist unglaublich steif, so dass jede Bewegung in Vortrieb umgewandelt wird.
Die drei Modi der Federelemente lassen sich mit dem TwinLoc-Hebel komfortabel wechseln. Über dem TwinLoc-Hebel sitzt die Rock Shox Reverb (Stealth) Fernbedienung und zugegeben, es bedarf einer kleinen Eingewöhnung im Eifer des Gefechts den richtigen Hebel zur richtigen Zeit zu drücken. Ist die Koordination der Hebel in Fleisch und Blut übergegangen, empfanden wir das Zusammenspiel von verstellbarem Fahrwerk und Sattelstütze als sehr angenehm. Unterm Strich mussten wir die Hände nun nur noch zum Trinken oder Grüßen anderer Radfahrer vom Lenker nehmen.
Während das Fahrwerk im offenen Modus sehr sensibel anspricht, erhält der Fahrer im Trail-Modus mehr Feedback vom Untergrund. Die hohe Eigendämpfung der Reifen reduziert dabei kleine und schnell aufeinanderfolgende Schläge -wie auf einer Schotterpiste- deutlich. Das heisst, dass das Fahrwerk zwar neben einer besseren Antriebseffizienz mehr Feedback vom Untergrund gibt aber die kleinen Vibrationen im Lenker durch die Reifen herausgefiltert werden. Wir sind häufig im Trail Modus gefahren, da hier die Balance zwischen Vortrieb und Komfort sehr gut getroffen wird. Bergauf verwandelt der geschlossene Modus das Bike in eine richtige Bergziege, so dass von kurzen Gegenanstiegen bis zu „Gewaltanstiegen“ alles besiegt werden kann.
Ein weiteres Highlight ist die Ruhe im Fahrbetrieb. Dank SRAM 1×11 Antrieb mit Type 2 Schaltwerk sowie dem Scott eigenen Chainguide oben und unten, ist das Bike flüsterleise. Einzig das Flappen der breiten Reifen begleitet den Radsportler durch den Wald, was neben der Faszination Radsport auch die Natur wieder weiter in den Vordergrund rückt.
Irgendwann ist auch der längste Anstieg erklommen und es geht wieder bergab. Mit den 160 mm Federweg und der Geometrie des Rads ist man auf keinen Fall unbewaffnet, sobald es in den Downhill geht. Systembedingt gibt es aber die ein oder andere Einbuße.
Im Downhill nutzen wir auf der Suche nach der besten Linie oft kleine Kanten als „Minianlieger“. Mit den 2,8“ Traktorreifen sind diese Kanten nicht mehr existent. Was auf den Schotterpisten von Vorteil ist, wird hier zum kleinen Nachteil, da der Reifen einfach über diese kleinen Kanten drüber walkt. Das Fahrgefühl lässt sich anfangs als schwammig / schmierig bezeichnen. Nachdem wir uns hierauf eingestellt haben, fanden wir auch bergab unseren Flow, waren aber unterm Strich langsamer als mit konventionellen 650b Reifen.
Dank der EVOL Air Sleeve reagiert der Hinterbau sehr sensibel und linear, neigt aber für schwere Fahrer zum Durchrauschen durch den mittleren Federweg. Zwar haben wir den Dämpfer nicht zum Durchschlag gebracht, aber bei einem Fahrergewicht von 94 kg würden ein bis zwei Token die Kompression positiv verändern. Da beim Fox NUDE mit EVOL keine verbaut werden können, bleibt nur mehr Luftdruck, was wiederum zu Lasten der Sensibilität geht. Hier gilt es einen guten Kompromiss zu finden.
Der Schwalbe Nobby Nic machte einen guten Gesamteindruck und seinem Ruf als guter Touren Allround Reifen alle Ehre. Bergauf fiel er nicht durch übermäßigen Rollwiderstand auf und bot bei normalen Bodenbedingungen stets ausreichend Grip. Je feuchter der Boden wurde, desto weniger Grip konnte der Reifen aufbringen und im tiefen Matsch riss der Grip ab. Hier schwamm der Reifen teilweise komplett auf und drehte schlichtweg durch. Das Verhalten auf matschigem Untergrund ist auch der 2,8“ Reifengröße zuzuordnen. Bei Matsch gilt, je schmaler der Reifen, desto mehr Grip.
Weitere Gimmicks
Im Lieferumfang enthalten sind u.a. SAG Meter von Fox, die das Einstellen des Negativfederwegs sehr erleichtern. Es handelt sich dabei um Clips, die an der Gabel an den Staubabstreifer und am Dämpfer in einer dafür vorgesehenen Vertiefung angebracht werden.
Scott hat an Einstellmöglichkeiten wirklich nicht gespart und dank Flip Chip sogar die Möglichkeit gegeben den Lenkwinkel einzustellen. Anfangs sind wir das Bike in der flachen Einstellung gefahren, was viel Laufruhe in schnelle Abfahrten brachte. Allerdings fehlte uns hier die Dynamik, die wir uns von einem Enduro in der 160 mm Riege versprochen hatten. Mit der steilen Lenkwinkeleinstellung kehrte diese zurück und so ließ sich das Bike beispielsweise spielender aufs Hinterrad bringen.
Auf allen Schrauben sind die Drehmomentangaben aufgebracht, dort wo sie gebraucht werden. So entfällt lästiges Nachschlagen in der Anleitung oder den Notizen auf dem Smartphone.
Fazit
Scott hat mit dem Genius LT 700 Tuned Plus optisch, technisch und von der Ausstattung eines der schönsten Bikes auf dem Bikemarkt im Programm. Die Verarbeitung des Carbon Rahmens und das Digital Camouflage lassen das Bike hochwertig und edel aussehen. All dies hat mit 7999,-€ unverbindlicher Preisempfehlung seinen Preis, der trotz Top-Ausstattung natürlich sehr hoch ist.
Enduristen, für die vor allem die Abfahrt im Vordergrund steht, werden mit den B+ systembedingten Einbußen wie self steering, dem Aufschwimmen der Reifen im Matsch und der fehlenden Genauigkeit bei der Linienwahl ihren Fahrstil ändern müssen. Tourenfahrer, deren Fokus auf Antriebseffizienz und Komfort auf langen Touren liegt, werden mit B+, vor allem aber mit dem Genius LT 700 Tuned Plus sehr glücklich werden.
Mit 160mm Federweg stehen dem Fahrer bergab jede Menge Reserven zur Verfügung und dank dem fernbedienbaren Fahrwerk sowie der Rock Shox Reverb wird der Flow beim Wechsel zwischen Abfahrt und Anstieg nicht unterbrochen. Die Eigendämpfung der B+ Reifen erlaubt ein strafferes Fahrwerkssetup, da kleine Vibrationen spürbar herausgefiltert werden. Getoppt wird das Fahrgefühl durch die nicht vorhandenen Fahrgeräusche.
Text und Bilder: Michael Klasen
Redaktion: Robin Krings