Crosser sind seit spätestens letzen Herbst in aller Munde, was schon fast etwas verwundert, denn neu ist das Thema nicht. Es erlebt allerdings eine Art zweiten Frühling, was allen voran den neuen Gravelbikes bzw. Gravelcrossern zu verdanken ist. Aber was genau hat man darunter zu verstehen? Ist es am Ende nur reines Marketing oder ist mehr dahinter? Wir haben uns zwei Vertreter der „neuen“ Bikegattung in die Redaktion geholt und wollen etwas Licht ins Dunkel bringen.
Wir gehen in diesem Fall weg vom klassischen Einzeltest und geben die direkte Meinung von Moritz und Patrick wieder. Auf das wesentliche reduziert und mit Blick auf das, was die neue Gattung ausmacht.
Moritz zum Santa Cruz Stigmata CC CX1:
„Ich fahre aus Überzeugung Mountainbike – Endorphin Ausschüttung durch die Anstrengung der Anstiege, Adrenalin ausgeschüttet durch den Nervenkitzel der Abfahrten und das in der Natur. Die Option, im Rahmen einer Story das Stigmata von Santa Cruz für das Wintertraining und darüber hinaus zu nutzen, wollte ich dann aber dennoch wahrnehmen.
Ich muss gestehen ich war zwiegespalten.
Auf der einen Seite kam ich direkt ins Schwärmen. Das Bike sieht einfach unverschämt gut aus. Mit der gelb/türkisen Lackierung, der SRAM Force CX1 Schaltung und den Force Scheibenbremsen konnten wir schon beim Auspacken kaum an uns halten. Hinzu kam das fast unverschämte Gewicht von knappen 8 kg und Carbon in rauen Mengen. Gerade für mich, der eher auf 17 kg Downhill oder auf 13kg Enduro-Böcken unterwegs ist, eine Erfahrung. Auch die Gelegenheit eines der absoluten Flaggschiffe unter den Gravelbikes bewegen zu dürfen, hat zur Vorfreude beigetragen. Der Preis für diesen exklusiven Ritt? Gute 5.600 Euro.
Auf der anderen Seite die Vorstellung mir mit all den genervten und rücksichtslosen Autofahrern die Straße zu teilen, entsprach so gar nicht meiner Vorstellung von einer erholsamen Feierabendrunde oder Entspannung am Wochenende.
Egal, Wintertraining ist ja nicht zum Spaß da, sondern um im Idealfall noch fitter in die neue Saison zu starten als man die alte beendet hat. Also ran an den Speck und auf die Straße oder den Waldweg.
Was mir als erstes auffällt, aber auch nicht weiter verwunderlich ist, ist die Leichtigkeit mit der man auf einem Gravelcrosser an Geschwindigkeit gewinnt. Erstaunlicherweise macht es ab 30 km/h sogar fast Spaß sich auf der Straße zu bewegen. Auf geraden Strecken lässt sich zudem über längere Zeiten hervorragen ein Pulsniveau halten und das triste Dahinradeln kann gezielt mit Intervallen aufgepeppt werden. Also ideal um das Fitnesslevel über den Winter zu halten. Die verbauten Scheibenbremsen sind ein echter Gewinn. Jederzeit ist Bremskraft verfügbar und vor allem sicher zu dosieren.
Auch kleinere Ausflüge auf Schotterpisten oder Waldwege sind kein Problem. Die Bereifung und die relativ aufrechte Sitzposition machen Ausflüge ins Grüne oder Weiße möglich. Längere Touren im Wald waren mir aber einfach zu unkomfortabel. Da mag man mich verweichlicht nennen, aber nach einer Stunde auf dem Gravelcrosser im Wald habe ich mir mein vollgefedertes Endurobike sehnlichst zurück gewünscht. Selbst auf den leichtesten Trails habe ich mich nicht wohl gefühlt. Bremsen und gleichzeitiges Abfangen von Stößen durch Wurzeln und Steine hat mich vor eine Herausforderung gestellt, da ich den Rennradlenker nicht sicher halten konnte. Kurze Ausflüge runter vom Asphalt auf mehr oder weniger befestigte Waldwege sind aber problemlos zu bewältigen. Wem Rennräder zu extrem sind, sollte sich durchaus mal auf einen Gravelcrosser setzen.
Für mich ist das Santa Cruz Stigmata ein hervorragender Begleiter für das Grundlagentraining auf der Strasse mit ein wenig mehr Flexibilität und Sicherheit. Auf dem Trail sind wir nicht wirklich warm geworden, da werde ich wohl wieder aufs Mountainbike zurückgreifen.“
Patrick zum Canyon Inflite AL 9.0:
„Im Unterschied zum Stigmata vertreibt Canyon das Inflite offiziell als Crosser. Allerdings mit angepasster Geometrie für längere Touren. Vergleicht man beide Bikes direkt miteinander, so fallen nur minimale Unterschiede in Lenk- und Sitzwinkel auf. Nimmt man einen klassischen Crosser für den Vergleich, sieht die Welt schon etwas anders aus. Geht man jetzt wirklich auf die Kategorie Gravelbikes ein, so würde ich auch das Inflite dort platzieren. Marketing hin oder her, ich habe mich immer gerne auf das Inflite geschwungen. Sei es um die Ausdauereinheiten zu absolvieren, einfach Strecke zu machen oder tägliche Strecken (commuting) zurück zu legen. Alles geht mit Leichtigkeit und ordentlichem Vortrieb, so lange kein Wind ins Spiel kommt.
Den Komfort, den Canyon mit dem Inflite auf längeren Etappen verspricht, ist der S14 Sattelstütze zu verdanken. Einfach ausgedrückt ist es eine verstellbare Blattfeder aus Carbon, die kleinere Unebenheiten durchaus merklich reduziert. Auf längeren Strecken habe ich mich sehr wohl gefühlt und ein Plus an Komfort ist spürbar. Ebenfalls weniger ausgeprägt ist gestreckte Haltung auf dem Inflite. Geht man hier den Vergleich mit einem Rennrad ein, so sitzt man ein gutes Stück entspannter auf dem Rad.
Was ich persönlich am meisten geschätzt habe, war und ist die Option einfach auf sich anbietende Waldwege abzubiegen und sogar einfache Trails im Taunus zu fahren. Wenn man sich darauf einlässt, kann es sogar zur Verbesserung der eigenen Fähigkeiten auf dem Rad beitragen. Die erste Kurve auf den schmalen Reifen werde ich zumindest so schnell nicht vergessen, denn der (ungewollte) Drift war amtlich. Gut, hätte ich mir jetzt auch denken können, danach war ich auf jeden Fall wach! Wer sich dran gewöhnt hat, kann diese „Einlagen“ auch in die Strecken mit einbauen. Das Inflite lässt sich so kontrolliert in Kurven zum Ausbrechen motivieren, was mir persönlich ab und an Spaß macht.
Natürlich kann man diese Leichtigkeit auch mit einem Carbon Hardtail aus dem CC oder XC Bereich haben. Wenn man hier die 8 Kg Gewicht erreichen will, werden aber deutlich mehr als die regulären 2.000 Euro fällig, die man für das Inflite bezahlen muss. Dazu kam vor allem bei mir der Wunsch, eben einfach mal etwas anderes zu fahren und den eigenen Horizont zu erweitern.
Bin ich jetzt bekehrender Crosser/Gravelfahrer? Nein, denn vom Mountainbike als primäres Mittel der Wahl gehe ich ganz sicher nicht weg. Für Ausdauer, Strecke oder „einfach mal so“, würde ich mir einen Crosser allerdings durchaus in den Keller stellen. Vor allem bei unserem Frankfurter Wegenetz, welches selten nach einem wirklichen MTB verlangt. Von meinem Standpunkt aus gesehen ist es ein sehr solides Rad mit durchdachter Ausstattung zum absolut fairen Preis.“
Unterm Strich:
Crosser, Gravel oder Gravelcrosser, das ist hier die Frage. Eigentlich nicht, denn „klassische“ Crosser sind klar definierte Bikes mit denen man sich innerhalb eines Rennens (ca. 1 Std) durchaus ins konditionelle Nirvana fährt. Längere Strecken sind eigentlich nicht das angestammte Revier dieser Bikes. Dafür kommen dann Hersteller wie Canyon und Santa Cruz ins Rennen, die mit den angepassten Konzepten nicht nur Spaß, sondern auch eine ganz andere Vielseitigkeit bieten. Müssten wir einen klaren Vorteil der Gravelbikes heraus stellen, wäre es die Option breitere Reifen zu fahren als auf Crossbikes. Das dient dann natürlich wieder der Sicherheit auf loserem Untergrund.
Ist es also doch alles nur Marketing? Nein, aber ein gewisser Anteil ist natürlich immer dabei, was aber auch völlig normal ist. Unsere klare Empfehlung wäre hier „Ausprobieren“. Das können wir dem klassischen Crosser Fahrer, sowie auch dem MTB Fahrer gleichermaßen ans Herz legen. Denn auch wenn man am Ende „nur“ den eigenen Horizont erweitert, hat sich das ganze doch schon direkt rentiert. In den Staaten ist das Thema Gravel auf jeden Fall schon eine große Nummer. Allerdings ist das Wegenetz dort auch ein teilweise völlig anderes und die Etappen länger. Ob und wie sich dieser Trend bei uns etablieren wird, muss sich noch zeigen.
Fahrt doch was ihr wollt, Hauptsache ihr habt Spaß!
Ich fahre jetzt seit ca. Ende April ein cannondale Slate 105 Gravelbike als commuter zur Arbeit. Mittlerweile habe ich über 5000km runter und freue mich jeden Tag aufs neue die 120km Arbeitsweg abzufahren. Als eingefleischter MTBler hatte ich seltsamerweise keinerlei Schwierigkeiten beim Übergang da die Geometrie nahe an die von mir gefahrenen Hardtails kommt. Ich könnte stundenlang weiterschreiben da es mir sehr viel Spaß bereitet. Eine versenkbare innenverlegte Sattelstütze habe ich nachgerüstet und die Lefty Federgabel geben mir den Spaß in den Trails im Bergischen Land. Es lohnt sich absolut…(mein geliebtes slate stelle ich hier vor https://graveltrails.wordpress.com/)