Italien ist nicht nur bekannt für leckeren Kaffee, sondern sicherlich auch für einige edle Produkte im Automobilsektor, die den einen oder anderen legendären Erfolg verzeichnen konnten. Eben aus diesem Sektor heraus, genauer gesagt aus dem Rallye-Motorsport hat sich seit Ende der 80er Jahre eine Fahrwerksschmiede einen inzwischen bekannten Namen gemacht: EXT Racing Shox. 2014 folgte dann auch das sehr erfolgreiche Debut in der Mountainbike-Welt mit der Vorstellung der zwei Dämpfer Arma und Storia und diversen DH Worldcup Siegen in den Jahren darauf. Lange musste die Mountainbike-Welt nun warten, bis die italienische Fahrwerkschmiede mit der ERA auch ihre Fahrwerkskunst den Bikern an der Front bereitstellte. Wir haben dieses lang ersehnte Edel-Stück vor Kurzem in die Redaktion bekommen und für euch einen ersten Eindruck inklusive ersten Erfahrungen mit der EXT ERA auf dem Trail gesammelt.

Natürlich könnt ihr euch vorstellen, dass unser Testredakteur bei einem so lang ersehnten Paket es mit mindestens genauso viel Emotionen und Temperament öffnet, wie der Italiener im Straßenverkehr gerne mit emotionalen Gesten seine Vorfahrt verteidigt. Entsprechend ist die Freude und die Begeisterung über die Optik und das Finish der Federgabel groß.

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Die langersehnte Lieferung des Fahrwerks aus dem Hause EXT Racing Shox inklusive Spezial-Öl und Dämpferpumpe

Optik

Betrachtet man das gute knapp einen Meter lange Fahrwerksteil aber vollkommen nüchtern, so scheint es nicht mehr oder weniger zu können wie seine Kontrahenten: Die Gabelkrone ist simpel, aber edel gefertigt, die Standrohre mit ihrem Durchmesser von 36 mm und schwarzer Beschichtung durchaus von anderen Herstellern bekannt und die Tauchrohre ein wenig massiver als erwartet. Die schwarze cleane Optik wirkt dabei in sich sehr stimmig.

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Die Form der Tauchrohrbrücke ist auffallend simpel, was für ein ruhiges Gesamterscheinungsbild sorgt. An der Rückseite sind zwei Gewindebohrungen zur Befestigung von einem Mudguard vorhanden.

Die Ausfallenden bzw. die Aufnahme der Steckachse ist ebenso unspektakulär, wie die 15 mm x 110 mm Steckachse selbst, die mit einem 6 mm Inbus herausgeschraubt werden kann.

EXT ERA – Technik & Besonderheiten

Interessanter wird es, wenn man sich die Gabel genauer ansieht und dabei das Datenblatt danebenlegt. Die EXT ERA ist aktuell für 29 Zoll Räder in den Federwegslängen 140 mm, 150 mm, 160 mm sowie 170 mm erhältlich. Wir haben für unseren Testträger die Version mit 160 mm gewählt. EXT hat in unserem Fall dafür eine verfügbare 170 mm Gabel auf 160 mm getravelt. Der Offset an den Ausfallenden der Gabel beträgt bei allen Modellen 44 mm. Laut Datenblatt findet eine maximale Reifengröße von 29“ x 2,5“ Platz. Die Bremssattelaufnahme mit PM-Standard ist für 180 mm Bremsscheiben vorgesehen und ist mittels Adapter für maximal 203 mm Bremsscheiben freigegeben.

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Boost 15 mm Stechachse, 44 mm Offset und Bremssattelaufnahme mit Freigabe für maximal 203 mm Bremsscheiben

Das tatsächlich Interessante verbirgt sich aber im Inneren der Gabel. Ein sicherlich besonderes Alleinstellungsmerkmal ist die Kombination von einer „Coil“-Feder mit zwei anpassbaren Positiv-Luftkammern und einer großen Negativ-Luftkammer, was auf den Namen HS3 hört.

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Effekt des HS3-Konzepts auf die Federkennlinie (Quelle: EXT Racing Shox)

Die Kombination von Coil und Luft als Federmedium erlaubt es zum einen die Vorteile von sensiblen Ansprechverhalten mit einer linearen Federkennlinie zu nutzen und zum anderen auch die Vorteile der Einstellungsmöglichkeiten über den Luftdruck zu nutzen. Durch dieses hybride System mit zwei anpassbaren Luftkammern soll die Federgabel sensibel und feinfühlig über den gesamten Federweg hinweg zu sein, aber nicht zu sehr im mittleren und oberen Federweg absacken. Für diesen Federwegs-Bereich ist die sekundäre Luftkammer zuständig. Diese kann neben der primären Luftkammer über ein separates Ventil befüllt werden.

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Unter dieser schraubbaren Kappe verbergen sich die beiden Ventile der einstellbaren Positiv-Luftkammern.

Wie aus den Grafiken der Bedienungsanleitung hervorgeht, hat man über die primäre Luftkammer die Möglichkeit die Federhärte über den gesamten Federweg zu justieren und damit die Steigung der Federkennlinie insgesamt zu heben oder zu senken. Die sekundäre Luftkammer soll unterstützend im mittleren und oberen Federweg wirken, sodass hier über die Einstellung des Luftdrucks, die Kennlinie gezielt gehoben oder respektive gesenkt werden kann.

Selbstverständlich kann man neben diesen besonderen Setup-Parametern auch die altbekannten Parameter High-Speed- und Low-Speed-Druckstufe auf der rechten Gabelkronenseite sowie den Rebound am rechten unteren Ende der Tauchrohre einstellen. Bei allen drei Rädchen verbirgt sich dahinter eine großvolumige Dämpfungskartusche, die beide Öl-Kreisläufe voneinander getrennt hält.

Zusätzlich für eine erhöhte Sensitivität der Gabel verbaut EXT in den Tauchrohren der Gabel spezielle Gleitbuchsen, deren Material aus dem WRC Motorsport übernommen worden ist und zusammen mit dem speziell von EXT entwickelten Öl für besonders wenig Reibung zwischen Stand- und Tauchrohren während des Einfederns sorgen sollen.

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EXT versucht die Reibung so gering wie möglich zu halten, wie z.B. durch Spezial-Öl oder die verbauten Gleitbuchsen.

Die Gabel kommt laut Angaben von EXT in der Version von 170 mm bei ungekürztem Schaft damit auf ein Gewicht von 2280 g. Der Gabel liegen bei Lieferung ein Fläschchen Spezial-Öl sowie eine Dämpfer- bzw. in diesem Fall Gabelpumpe vor.

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Die EXT ERA eingebaut in unseren Testträger

Einstellung der Gabel in der Praxis

Angesichts der vielen Möglichkeiten das Setup der ERA zu verändern, stellt EXT in der Bedienungsanleitung einige Empfehlungen in Abhängigkeit des Fahrergewichts in Form von Tabellen bereit, sodass man hier einen sinnvollen Startpunkt für die Anpassung der Federgabel auf seine individuellen Vorlieben nutzen kann. Wichtig bei der Einstellung der beiden Luftkammern ist es immer die richtige Reihenfolge einzuhalten und die primäre Kammer (+) immer vor der sekundären Kammer (++) zu befüllen. Zudem muss beachtet werden, dass die sekundäre Kammer stets einen höheren Luftdruck aufweisen sollte als die primäre Kammer, um die Funktion des HS3-Systems sicherzustellen.

 

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Empfohlene Einstellungen der beiden Positiv-Luftkammern (Quelle: EXT Racing Shox)

Bei dem Gewicht unseres Testfahrers von fahrfertigen etwas mehr als 70 kg stellen wir also den empfohlenen Druck von 55 psi am Ventil der +-Kammer ein und den Druck von 85 psi der ++-Kammer ein. Kurze Prüfung des SAG, der von EXT bei 160 mm Federweg auf 24-32 mm empfohlen wird. Mit dem eingestellten Druck landen wir bei 30 mm was somit fürs Erste passen sollte. Auch für die Einstellung der High- und Low-Speed-Druckstufe sowie des Rebounds stellt EXT empfohlene Richtwerte bereit. Dabei ist Klick 0 die Position, in der die Druckstufe bzw. Zugstufe komplett geschlossen ist. Wir haben also die beiden Druckstufen mit 9 Klicks gegen den Uhrzeigersinn und Rebound mit 12 Klicks nach Empfehlung initial eingestellt.

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Empfohlene Einstellungen für Zug- und Druckstufe (Quelle: EXT Racing Shox)

Eine erste Prüfung der Dämpfung und insbesondere des Rebounds im Stand ist jeweils zufriedenstellend. Fehlt nun der erste Praxis-Check.

EXT ERA – Erster Eindruck auf dem Trail

Um die wahren Vorzügige der feinen Italienerin erleben und deren Performance auch gleich weiter feinjustieren zu können, bietet sich jetzt, wo es wieder möglich ist, ein Besuch in einem kleinen Bikepark an. Daher haben wir die EXT ERA auch gleich mal einen halben Tag für einen ersten Eindruck mit nach Oberammergau genommen, wo wir auf den vielen naturbelassenen und mit Wurzeln und Kickern übersäten Trails die Gabel einem ersten Check unterziehen konnten.

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Man erkennt deutlich, dass der Federweg mit dem ersten Setup noch nicht vollständig genutzt wurde.

Gleich zu Beginn auf den ersten Metern bergab wird deutlich, dass sich das empfohlene Setup tendenziell sehr straff anfühlt. Man merkt aber dabei auch deutlich, dass weder in Anliegern noch beim Bremsen die Gabel wegsackt und damit noch genug Reserve für eventuellen Schlägen bereithält und weiterhin sensibel reagiert. Hier kommt sofort der Vorzug des hybriden Systems und der sekundären Luftkammer zum Tragen.

Dennoch haben wir direkt nach dem ersten Run das Setup neu eingestellt und dabei auf 50 psi in der +-Kammer und auf 80 psi der ++-Kammer reduziert. Beim zweiten Run merken wir sofort, dass nun die Gabel wie zu erwarten weniger straff und noch sensibler über den ganzen Federweg hinweg arbeitet, wenn auch knapp 20 mm des Federwegs ungenutzt sind. Hier werden wir dranbleiben. Das Gefühl einer etwas hohen Front beim Durchdrücken von Anliegern mag dabei sicherlich ein Effekt sein, der der zuvor verbauten Lyrik in unserem Testträgerrad zu schulden ist. Diese ist bekannt dafür gerade bei einem etwas weicheren Setup genau dort wegzusacken, wo sich nun die EXT ERA dominant entgegen dem Druck von Fahrer und Anlieger behauptet. Unser Fahrer schätzt somit diesen Sollzustand in dem Bike und kann somit ab dem ersten Moment das HS3 Konzept als vollkommen gelungen bestätigen.

Aber auch sonst hinterlässt die Gabel mit ihren Fahreigenschaften einen richtigen Wow-Effekt bei uns. Das sensible Ansprechverhalten der Coil-Feder ohne Losbrechmoment ist deutlich spürbar. Im Laufe der darauffolgenden Abfahrten haben wir ein wenig noch die High-Speed-Druckstufe geöffnet, um den vielen gefühlt immer schnelleren Schlägen der Wurzeln Herr zu werden. Gleichzeitig haben wir die Dämpfung des Rebounds ein wenig erhöht, was merklich das Vorderrad am Boden kleben ließ, ohne zu viel Pop bei den vereinzelten Kickern zu verlieren.

Zusammenfassung und Ausblick

Auch wenn nach diesem ersten intensiven Kennenlernen der jungen Italienerin noch ein wenig Feinabstimmung nötig ist, können wir nach einem ersten Eindruck festhalten, dass EXT mit der ERA durchaus einen optisch und technisch ganz großen Wurf als Federgabel-Newcomer im Mountainbike-Segment hingelegt hat. Insbesondere das Konzept mit den verschiedenen Federmedien und den zwei einstellbaren Luftkammern beeindruckt nicht nur beim ersten Blick aufs Datenblatt, sondern auch beim ersten Eindruck auf dem Trail.

Die dadurch entstehenden Setup-Möglichkeiten werden nun von uns in den kommenden Wochen im Detail gecheckt. Insbesondere auch, ob eine deutliche Abweichung des empfohlenen sekundären Luftdrucks die bisher verspürte Progression etwas verändert. Aber auch interessant wird es sein, wie sich die Gabel langfristig und auch beim spontanen Anpassen auf spezielleres Terrain verhält, wie z.B. bei eher technischen Touren im Hochgebirge. Hier werden wir euch dann ein Update im Rahmen eines ausführlichen Tests geben, wobei wir auch den ebenfalls bereits in unserem Testträger verbauten EXT Storia V3 Dämpfer ausgiebig testen werden.

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Nicht nur die Federgabel ERA sondern auch der Dämpfer STORIA steht für einen ausführlichen Test in den nächsten Wochen auf dem Programm.

 


Text: Martin Riedle
Bilder: Martin Riedle, Thomas Kappel
Redaktion: Robin Krings
Weitere Informationen: www.extremeshox.com, www.schnurr-tech.de

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